Bosnien und Herzegowina – ein neues strategisches Konzept
Außenminister Philip Hammond und sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier starten britisch-deutsche Initiative für Bosnien und Herzegowina.
In einer Rede bei der Konferenz des Aspen Institute am 5. November 2014 in Berlin sagte Außenminister Philip Hammond:
Vielen Dank, Frank-Walter [Steinmeier]. Ich freue mich, heute hier zu sein. Ich danke dem Auswärtigen Amt, das diese Konferenz ermöglicht hat, dem Botschafter als unserem Gastgeber und dem Aspen Institute als Veranstalter dieses Nachmittags. Unser heutiges Treffen könnte ein Wendepunkt für Bosnien und Herzegowina sein. Deshalb freue ich mich, dass Außenminister Lagumdžija hier ist, um sein Land zu vertreten. Wie Frank-Walter [Steinmeier] gesagt hat, ist die Unterstützung der Region unentbehrlich. Ich danke Außenministerin Pusić für ihre wichtige Arbeit in dieser Sache, und Außenminister Dačić für seine wertvolle Mitarbeit. Ich freue mich sehr, dass Sie hier sein können.
Frank-Walter [Steinmeier] hat dargelegt, warum dringende Reformen notwendig sind, um dieses langfristige Ziel zu erreichen. Ich teile seine Einschätzung. Die Menschen in Bosnien und Herzegowina mussten einfach zu lange auf echte Fortschritte in den Bereichen warten, die ihnen wichtig sind: Arbeitsplätze, Bildung und Gesundheit, Kriminalität, Rechtsstaatlichkeit und Justiz, und Bekämpfung der Korruption. Seit dem Ende des Krieges sind fast zwanzig Jahre vergangen.
Wir sind uns auch einig, dass Bosnien und Herzegowina endlich die Früchte des Friedens ernten können sollten. Die Perspektive eines EU-Beitritts müsste ein Ansporn für sie sein, die Reform durchzuführen, die das Land braucht. Fakt ist aber, dass diese Perspektive noch nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hat. Etwas in Bosnien und Herzegowina stimmt nicht, wie Herr Steinmeier sagte.
Außerdem besteht die Gefahr, dass einige Parteien die Diskussion über andauernde und wichtige politische und verfassungsrechtliche Fragen dazu nutzen könnten, um dringende sozio-ökonomische Reformen auszubremsen. Nach der deprimierenden und negativen Stimmung im Wahlkampf ist die positivere Haltung, die die Parteien in den Koalitionsverhandlungen einnehmen, ermutigend. Wir begrüßen es, dass die Regierungsbildung auf allen Ebenen schwungvoll in Angriff genommen wird. Wir begrüßen auch den Konsens, der darüber besteht, dass Bosnien und Herzegowina auf seinem Weg zur EU rasch voranschreiten soll. Und wir begrüßen es, dass allgemeinere sozio-ökonomische Reformen neben den anhaltenden wichtigen politischen und verfassungsrechtlichen Fragen verstärkt angepackt werden sollen.
Bei unserer Initiative geht es darum, diese Bemühungen zu verstärken und zu unterstützen. Wir wünschen uns eine breit aufgestellte Regierung mit einer starken Mehrheit, die diese Dinge durchsetzen kann.
Was also schlagen wir vor?
Erstens ist es aufgrund der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme in Bosnien und Herzegowina nötig, die Reformagenda zu erweitern. Die Klärung der Frage der Minderheitenrechte und die Umsetzung der Koordinationsmechanismen sind immer noch wichtig und auch eine Voraussetzung für den EU-Beitritt. Aber daneben gibt es auch noch andere Prioritäten. Die Wirtschaft zu stabilisieren und zu fördern. Arbeitsplätze zu schaffen, vor allem für junge Menschen. Die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Bürokratie abzubauen und die Kosten der Regierung zu senken.
Und wenn die neue Regierung eine Bereitschaft und eine Fähigkeit erkennen lässt, die breitere Reformagenda voranzubringen, dann sollten wir diese Schritte anerkennen und mit entsprechenden Schritten bei der Annäherung an die EU belohnen. Je mehr Reformen sie umsetzt, desto weiter kann sie auf diesem Weg voranschreiten. Großbritannien und Deutschland wollen, dass die Entwicklung in Bosnien und Herzegowina auf der EU-Agenda nach oben rückt. Wir möchten mit Ihnen zusammenarbeiten, um Fortschritte zu erreichen. Und wir sind bereit, uns in der EU für eine Kandidatur Bosniens und Herzegowinas einzusetzen, sobald diese Fortschritte erzielt wurden.
Wir werden unseren EU-Partnern also empfehlen, die politische Führung von Bosnien und Herzegowina zunächst aufzufordern, eine zweifache schriftliche Verpflichtung einzugehen:
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erstens, institutionelle Reformen auf allen staatlichen Ebenen, um die Funktionsfähigkeit des Staates zu verbessern und eine effektive Zusammenarbeit mit der EU zu ermöglichen;
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zweitens, mit der EU einen Fahrplan für eine breitere Reformagenda auszuarbeiten, die Bosnien und Herzegowina auf dem Weg zum EU-Beitritt voranbringt und die Umsetzung der politischen und wirtschaftlichen Kriterien von Kopenhagen einschließt.
Die Reformen, die wir vorschlagen, sind eng an den Wachstums- und Beschäftigungspakt geknüpft, der vor einigen Monaten veröffentlicht wurde. Sobald die Führung von Bosnien und Herzegowina diese Verpflichtung eingegangen ist, sollten wir das lange aufgeschobene Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen in Kraft setzen. Danach erwarten wir konkrete Schritte zur Umsetzung des Fahrplans – Verbesserung der Funktionsfähigkeit und Effizienz der Regierung, Durchführung von Wirtschaftsreformen. Sobald das in Gang gesetzt ist, unterstützen wir Bosnien und Herzegowina darin, den Antrag auf EU-Mitgliedschaft zu stellen. Und wenn dann solide Fortschritte bei der Umsetzung dieser Agenda erzielt worden sind, unterstützen wir die Verleihung des Kandidatenstatus an Bosnien und Herzegowina. Dadurch könnte das Land wieder Anschluss an die anderen Staaten der Region gewinnen, die sich der EU schneller und weiter angenähert haben. Neue Möglichkeiten für Handel, Hilfe und regionale Zusammenarbeit würden entstehen. Und der Wirtschaft von Bosnien und Herzegowina, seiner Infrastruktur, seinem öffentlichen Dienstleistungssystem und vor allem seiner Bevölkerung würde es enorme Vorteile bringen.
So also sieht das Angebot aus: Wir, Großbritannien und Deutschland, werden mit Bosnien und Herzegowina bei einem Plan für die Umsetzung von Reformen zusammenarbeiten. Sobald der Plan umgesetzt ist, werden wir uns im Kreis unserer EU-Kollegen für Bosnien und Herzegowina einsetzen, damit das Kandidaturverfahren wieder in Gang kommt. Es geht nicht darum, an der Konditionalität der EU-Mitgliedschaft zu rütteln. Ausnahmen darf es nicht geben. Und das schwierige Thema der verfassungsrechtlichen Reformen kann nicht umgangen werden.
Vielmehr geht es darum, an die Abfolge der Reformen pragmatisch und flexibel heranzugehen, Prioritäten nach der Dringlichkeit der Bedürfnisse des Landes zu setzen, bereit zu sein, Fortschritte, wo sie erkennbar sind, zu honorieren. Gleichzeitig werden wir notfalls auch mehr Härte zeigen, falls die politischen Führer sich erneut in den Sumpf ethnischer Streitigkeiten hineinziehen lassen sollten. Wir, Großbritannien und Deutschland, die EU, haben zu viel investiert, um einen Rückfall von Bosnien und Herzegowina zuzulassen. Und wir bekennen uns wie eh und je zu unseren rechtlichen Verpflichtungen, die territoriale Unversehrtheit zu verteidigen und für ein sicheres Umfeld zu sorgen.
Was wir heute vorschlagen, ist ein Rahmen für ein neues strategisches Konzept. Wir müssen noch zusammen mit unseren europäischen Partnern die Details der Strategie ausarbeiten und die Zustimmung der EU erwirken. Aber wir werden uns engagieren. Und wir wollen diese Initiative nutzen, um gegenüber Bosnien und Herzegowina eine neue Geschlossenheit und Einigkeit auf internationaler Ebene herbeizuführen.
Wir hoffen, dass diese Schritte die politische Führung von Bosnien und Herzegowina ermuntern und befähigen werden, die Jahre des Streits und der Stagnation hinter sich zu lassen. Diesen entscheidenden Moment zu nutzen. Die Chance, die wir ihnen bieten, zu ergreifen. Und einen echten Wandel herbeizuführen. Den Menschen in Bosnien und Herzegowina Hoffnung zu geben. Und mehr Stabilität in die gesamte Region zu tragen.
Vielen Dank.