Rede

Rede von Finanzminister Hammond in Berlin

Rede des britischen Schatzkanzlers Philip Hammond beim Wirtschaftstag der CDU-Wirtschaftsrats am 27. Juni 2017

Veröffentlicht wurde dies unter der 2016 to 2019 May Conservative government
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Es ist eine Ehre, bei der Jahresversammlung des Wirtschaftsrats der CDU sprechen zu dürfen, der sich seit 54 Jahren für eine soziale Marktwirtschaft auf der Grundlage der Werte und Vorstellungen von Ludwig Erhard einsetzt.

Erhard sagte: „Ein Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen.“

Kluge Worte, die sich in gewisser Weise auch auf die Brexit-Verhandlungen anwenden lassen … auch wenn ich im Kollegenkreis davon abrate, über Kuchen[1] zu reden.

Denn wenn wir die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union erfolgreich führen und ein Abkommen schließen, das die Arbeitsplätze, die Wirtschaft und den Wohlstand auf dem ganzen europäischen Kontinent schützt, indem es die Handelsströme am Leben erhält und gefährliche Unterbrechungen vermeidet, dann können wir den Kuchen größer machen und alle ein größeres Stück bekommen.

Erhard sagte auch, dass Europa ohne Großbritannien ein Torso bleiben würde; und auch das ist relevant für meine Botschaft, dass Großbritannien zwar die politischen Strukturen der Europäischen Union verlässt, aber nicht Europa.

Und ich glaube, in einer Zukunft, in der wir Partner sind, werden Großbritannien und die EU einander immer noch viel zu bieten haben.

Globaler Kontext

Wir werden also versuchen, ein neues Verhältnis zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich zu schmieden, das auf unserer gemeinsamen Geschichte und unseren gemeinsamen Werten beruht, damit wir auch weiter die gemeinsamen Herausforderungen bewältigen können, mit denen unser Kontinent konfrontiert ist.

Diese sind natürlich keineswegs auf den Brexit begrenzt.

Es sind die Sorge um die zukünftige Sicherheit Europas, ein forscher auftretendes Russland, die wachsende Bedrohung durch den Terrorismus, der uns in letzter Zeit alle auf tragische Weise getroffen hat, der Klimawandel und das Problem der irregulären Migration, die jederzeit wieder in einem Ausmaß auftreten könnte, das unsere Gesellschaften destabilisieren könnte.

Und die Probleme, die wir in Europa haben, sind im Kontext gemischter Aussichten für die Weltwirtschaft zu sehen.

Vieles deutet auf eine Erholung des globalen Wirtschaftswachstums hin, auch in Europa, aber es gibt eindeutig immer noch Risiken.

Eine nachlassende Konjunktur in China, mit einem wachsenden Kreditboom, schwächere Prognosen in Lateinamerika und im Nahen Osten, und eine zunehmende Stimmung in den Industrieländern, die den Nutzen des Freihandels und der Globalisierung, vielleicht auch der Marktwirtschaft und einer soliden Geldpolitik, in Frage stellt.

Als Politiker müssen wir diese wachsenden Ängste mancher Bürger angesichts des Tempos des wirtschaftlichen Wandels ernst nehmen und darauf eingehen.

Meiner Meinung nach muss unsere politische Antwort darauf lauten, dass wir unsere Maßnahmen zur Förderung des Wachstums durch eine Politik ergänzen, die dafür sorgt, dass unsere Gesellschaft den Nutzen des Wachstums besser erkennt.

Deshalb folgen wir in Großbritannien zum Beispiel dem Vorbild Deutschlands und investieren in die Modernisierung unser Ausbildung für technische Berufe, um mehr junge Menschen für ein erfolgreiches Berufsleben zu qualifizieren und unser Produktionspotenzial zu vergrößern. Wir alle in den modernen Volkswirtschaften profitieren von der Globalisierung und dem Freihandel.

Aber normale arbeitende Familien haben nicht immer das Gefühl, dass die Vorteile auch ihnen zugute kommen.

Ein Großteil der Globalisierung ging in Richtung Beseitigung von Schranken im Handel mit Gütern.

Die britische Wirtschaft besteht aber zu 80% aus Dienstleistungen, die der Eurozone zu 73%.

Deshalb haben unsere Volkswirtschaften nicht unbedingt in vollem Umfang von ihrer Wettbewerbsstärke in den Branchen, in denen viele am besten sind, profitiert.

Wir sollten daher in der G-20 und anderen multilateralen Foren zusammenarbeiten, um die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen weltweit voranzutreiben.

Und mit der gleichen Logik sollten wir ein mutiges und ambitioniertes Freihandelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vereinbaren, das sich sowohl auf Güter wie auch auf Dienstleistungen erstreckt.

Brexit

Ich habe für den Verbleib Großbritanniens in der EU geworben und gestimmt.

Aber ich bin Demokrat und akzeptiere die Entscheidung der britischen Bevölkerung.

Jetzt setze ich mich voll und ganz dafür ein, dass wir zwischen der EU und einem Großbritannien außerhalb der EU enge und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen aufrechterhalten.

Die Wahrheit ist, dass Großbritannien nie wirklich hinter einer tiefen politischen Integration mit der Europäischen Union gestanden hat – unsere unterschiedliche Geschichte mag dazu geführt haben, dass wir unterschiedliche Vorstellungen von der Rolle der Europäischen Union haben.

Trotzdem sind wir in so vieler Hinsicht Gleichgesinnte, und wir haben gemeinsame Werte und eine gemeinsame Weltanschauung. Unsere Wirtschaft ist durch und durch europäisch, und es ist unser sehnlicher Wunsch, sie auch künftig in Europa verankern zu können.

Am Donnerstag voriger Woche jährte sich die Abstimmung der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union zum ersten Mal.

Sie stimmten dafür, außerhalb der politischen Strukturen der EU zu stehen, nicht aber Europa den Rücken zu kehren.

Sie stimmten dafür, die Kontrolle über unsere Grenzen zurückzugewinnen und den Zustrom von Menschen, die die Dynamik unserer Wirtschaft erhalten, nicht zu unterbinden, sondern steuern zu können.

Sie entschieden, dass die Europäische Union und ihre Pläne für eine weitere Integration nichts für sie waren, aber wir wünschen unseren Nachbarn viel Erfolg, wenn sie dieses Projekt vorantreiben. Es ist eindeutig im Interesse Großbritanniens, dass die EU ein erfolgreicher, wachsender Block mit einer starken Währung und einer selbstbewussten Einstellung zur Welt ist.

Und es gibt keinen Grund, warum Europa nicht selbstbewusst sein sollte.

Volkswirtschaften in ganz Europa erholen sich. Das Wachstum in der Eurozone befindet sich auf einem Zweijahreshoch, die Arbeitslosigkeit hat ihren tiefsten Stand seit 2009 erreicht, und die jüngsten Wahlen haben keinen Durchbruch populistischer Parteien, linker wie rechter, gebracht, wie viele es noch vor einem Jahr vorhergesagt hatten.

Aber was die zukünftigen Risiken angeht, sollten wir nicht selbstzufrieden sein. Unsere Volkswirtschaften sind nicht so stark, dass sie sich unnötig Risiken für die Wirtschaft und die Finanzstabilität aussetzen sollten; das gilt besonders für die Risiken, die mit dem Ergebnis der Verhandlungen über unseren EU-Austritt verbunden sind.

Jeder hier in diesem Saal weiß, wie wichtig ein Ergebnis ist, das unseren gemeinsamen Wohlstand fördert – schließlich waren die britische und die deutsche Wirtschaft die Motoren, die Europa aus der Finanzkrise geholt haben. Auf unser gemeinsames Konto geht mehr als die Hälfte des gesamten Wirtschaftswachstums in der EU seit 2010, zusammen haben wir mehr als drei Viertel aller neuen Arbeitsplätze geschaffen.

Im vergangenen Jahr waren unsere Volkswirtschaften die beiden wachstumsstärksten in der G-7. Im vierten Quartal haben Sie uns knapp überholt – obwohl ein Sieg, der durch das Runden bei den Wachstumszahlen entsteht, ungefähr so ist wie ein Sieg im Elfmeterschießen!

Und ich hoffe, dass die Wirtschaftspartnerschaft und langjährige Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern, die seit über 70 Jahren geholfen hat, diesem Kontinent Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu bringen, mobilisiert werden kann, um unser gemeinsames Ziel einer tiefen, besonderen und für beide Seiten nützliche Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien zu fördern. Dennoch sind die Gefahren eines schlechten Ergebnisses, das Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand nicht fördert, durchaus real.

Nicht nur für die britische Wirtschaft, sondern auch für die Wirtschaft der EU.

Großbritannien stellt fast 13% der Bevölkerung der EU und 16% seines Bruttoinlandsprodukts.

Das ist ein beträchtlicher Anteil am europäischen Markt.

Für mich steht fest: wenn wir den Wohlstand und das Wachstum auf beiden Seiten des Ärmelkanals – und auf beiden Seiten der irischen Grenze – sichern wollen, müssen wir dafür sorgen, dass die Unternehmen auch nach dem Brexit diesen gesamten Markt zur Verfügung haben.

Risiken

Ich sehe zwei große Risiken für die Zukunft.

Das erste betrifft das Ergebnis: wenn wir irgendwie zulassen, dass eine kleinkarierte Politik sich der wirtschaftlichen Logik entgegenstellt und wir letztlich eine suboptimale Lösung bekommen, die nicht größtmögliche Vorteile für beide Seiten bringt.

Das zweite betrifft das Verfahren: wenn wir uns nicht – zu einem geeigneten Zeitpunkt – auf Übergangsregelungen bis zu dem neuen Verhältnis verständigen können, die verhindern, dass das Vertrauen der Unternehmer geschädigt und der grenzüberschreitende Handel und die Investitionen gestört werden. Das sogenannte „Klippenrand“-Risiko.

Wie also können wir diese Risiken vermeiden?

Indem wir uns beharrlich auf die Hauptziele konzentrieren.

Erstens muss unsere zukünftige Partnerschaft den Handel mit Gütern und Dienstleistungen weiter zulassen, damit die komplexen Lieferketten und Geschäftsbeziehungen, die unseren Kontinent durchziehen, weiter funktionieren. Denn die Unternehmen in ganz Europa sind auf den Freihandel angewiesen, und alle unsere Bürger brauchen den Nutzen, den er bringt – mehr Auswahl, niedrigere Preise, mehr Arbeitsplätze.

Zweitens sehen wir in Großbritannien ein, dass sich unsere Kollegen in der EU, wenn das Vereinigte Königreich den Geltungsbereich des EU-Rechts verlässt, ernsthafte und berechtigte Sorgen zum Beispiel über die Aufsicht und Kontrolle der grenzüberschreitenden Finanzmärkte machen werden.

Aber es gibt auf der ganzen Welt gute Beispiele für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Finanzdienstleistungsaufsicht. Wir werden auf alle Sorgen unserer EU-Nachbarn eingehen, im Geist aufrichtiger Zusammenarbeit, damit wir uns auf eine kooperative Aufsichtsstruktur auf der Basis internationaler bewährter Praktiken verständigen können.

Drittens muss das Ergebnis die Rechte der Bürger schützen, sowohl der EU-Bürger im Vereinigten Königreich als auch der britischen Bürger in der EU.

Die Premierministerin hat letzte Woche unser Angebot an die über drei Millionen EU-Bürger, die im Vereinigten Königreich leben, vorgestellt. Es sieht für alle, die fünf Jahre lang in Großbritannien gelebt haben oder in jüngerer Zeit angekommen sind und bleiben möchten, volle Rechte und Ansprüche zu den gleichen Bedingungen wie für britische Bürger vor. Und ich hoffe, wir bekommen die gleiche Sicherheit für die über eine Million britischen Bürger, die in der Europäischen Union leben.

Und viertens sollten wir auf dem Weg, der – hoffentlich – zu einer langfristigen Partnerschaft mit einem umfassenden Freihandel mit Gütern und Dienstleistungen und einer Zollvereinbarung mit möglichst reibungslosen Grenzen führt, eine Übergangsperiode vorsehen, die den freien Handel über unsere Grenzen hinweg und die paneuropäischen Lieferketten schützt.

Das heißt, wir sollten uns, und zwar möglichst bald, darauf verständigen, wie unser zukünftiges Verhältnis aussehen sollte und wie wir dorthin gelangen.

Denn die Unternehmen und Bürger in Großbritannien und der EU müssen wissen, wie dieses zukünftige Verhältnis aussieht; sie müssen darauf vertrauen können, dass ein ebener und geordneter Weg zu den neuen Regelungen führt, der nicht an einem disruptiven und gefährlichen Klippenrand endet.

Der britische Importeur, der einen Vertrag mit einem französischen Komponentenlieferer erneuern möchte, der deutsche Automobilexporteur, der in sein Vertriebsnetz in Großbritannien investiert, der niederländische Erzeuger, der einen Vertrag mit einer britischen Supermarktkette schließt, oder das italienische Elektrizitätsunternehmen, das seine Risiken über Londoner Finanzmärkte absichert – sie alle brauchen die Gewissheit, lange Zeit im Voraus, dass sie nicht plötzlich, auf halbem Wege ihrer Vertragslaufzeit, Zölle auferlegt bekommen, oder dass ihre Lieferungen nicht vom Zoll aufgehalten oder mit bürokratischen Kosten belastet werden, oder dass die Durchsetzbarkeit ihrer Verträge nicht in Frage gestellt wird.

Eine frühzeitige Einigung auf diese Übergangsregelungen, damit der Handel zwischen unseren Ländern weiterhin frei fließen kann, wird die Unsicherheit verringern, Investitionsentscheidungen mobilisieren, das Vertrauen der Wirtschaft stärken und Beschäftigung und Wohlstand schützen, in Großbritannien, in Deutschland und auf gesamten Kontinent.

Letzte Woche haben wir das offizielle Verfahren der Verhandlungen über unseren Austritt aus der Europäischen Union eingeleitet, und wir werden sie im Geist aufrichtiger Zusammenarbeit führen.

Wir dürfen uns nicht bei der Vergangenheit aufhalten, oder bei dem, was hätte sein können.

Wir müssen uns auf die Zukunft konzentrieren, auf die vor uns liegenden Chancen für uns alle.

Auf die Perspektive einer offenen, toleranten und dem Freihandel verpflichteten Weltordnung, wobei wir stets die für beide Seiten bestehenden Risiken im Blick behalten müssen, wenn wir kein gutes Ergebnis erzielen.

Wenn der politische Wille der wirtschaftlichen Logik folgt, gelingt uns mit Sicherheit ein Abkommen, das die Beschäftigung und den Wohlstand an die erste Stelle stellt, das unsere Märkte für Güter und Dienstleistungen und Kapital offen hält, das frühzeitig Übergangsregelungen vorsieht und das ein Ergebnis bringt, das den Kuchen für alle vergrößert.

Denn letzten Endes geht es nicht darum, ob wir unseren Kuchen behalten, oder ihn essen, oder wer das größte Stück bekommt – sondern darum, ob wir intelligent genug sind, um herauszufinden, wie wir weiter zusammenarbeiten können, damit der Kuchen immer größer wird, zum Nutzen aller.

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Veröffentlicht am 27 Juni 2017