Rede

Medienfreiheit und bedrohte Journalisten: Rede des britischen Außenministers

Rede des britischen Außenministers Jeremy Hunt bei der Konferenz zur Medienfreiheit am 10.07.2019 in London

Veröffentlicht wurde dies unter der 2016 to 2019 May Conservative government
Jeremy Hunt speaking

Exzellenzen,

verehrte Ehrengäste,

meine Damen und Herren!

Im Namen des Vereinigten Königreichs und unserer Mit-Gastgeber, der Regierung von Kanada, heiße ich Sie alle willkommen bei dieser Konferenz. Und vielen Dank, Chrystia, für Ihre großartige Unterstützung und die Begeisterung, mit der Sie diese Konferenz abhalten. Und ich hoffe, dass Sie nächstes Jahr eine in Kanada ausrichten werden.

Vor zwei Monaten, am 16. Mai, erhielt der 28 Jahre alte mexikanische Reporter Francisco Romero Diaz in den frühen Morgenstunden einen Anruf, bei dem es um einen Vorfall in einem örtlichen Nachtclub in Playa del Carmen ging.

Romero hatte sich darauf spezialisiert, das organisierte Verbrechen zu entlarven. Er reagierte, wie es jeder gute Journalist tun sollte, und begab sich schnellstmöglich zum Ort des Geschehens.

Tatsächlich aber wurde er vermutlich in eine Falle gelockt.

Bei seiner Ankunft wurde er aus dem Hinterhalt überfallen und erschossen.

In den beiden Monaten davor war er von der Polizei verhaftet worden – seinen Angaben zufolge, weil er sich geweigert hatte, Schmiergeld zu zahlen – und von bewaffneten Männern entführt worden.

Ein anonymer Anrufer hatte ihm gedroht, ihn von einer Brücke zu stoßen, und erklärt, er wisse, wo Romeros Sohn zur Schule gehe.

Und trotz all dieser Akte der Einschüchterung und Schikane ließ Romero nicht von seiner Berichterstattung für die Zeitung Quintana Roo Hoy ab und betrieb weiter eine Website zum Thema organisierte Kriminalität.

Er war der sechste Journalist, der dieses Jahr in Mexiko erschossen wurde.

Und vor einem Monat fiel als siebte die Journalistin Norma Sarabia im Bundesstaat Tabasco einem Mordanschlag zum Opfer.

Auf der ganzen Welt wurden im vergangenen Jahr 99 Journalist*innen ermordet – mehr als doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor – und weitere 348 wurden von einer Regierung inhaftiert.

Nur sehr wenige, die diese Verbrechen begehen, werden dafür jemals zur Rechenschaft gezogen.

Auch nach elf Jahren sind von den 46 Fällen, in denen Journalist*innen 2008 gewaltsam ums Leben kamen, bisher nur acht Fälle aufgeklärt worden.

Medienfreiheit: Ein universelles Anliegen

Und das ist der Grund, warum unsere Konferenz und diese weltweite Kampagne so wichtig sind.

Unsere Aufgabe ist es, das Andenken an Francisco Romero Diaz – und andere wie ihn – zu ehren, indem wir Journalist*innen schützen und uns für ihre Arbeit als eine unverzichtbare Säule einer freien Gesellschaft stark machen.

Meine geschätzte Kollegin Chrystia [Freeland], die, wie sie sagte, selbst früher Journalistin war, und ich sind die ersten Außenminister, die eine internationale Konferenz zu diesem Thema einberufen haben. Und wie Chrystia schon sagte, möchten wir, dass dies zu einer alljährlich in allen Teilen der Welt stattfindenden Veranstaltung wird.

Das Positive aber inmitten all dieser düsteren Berichte ist, dass heute Delegationen aus über 100 Ländern, darunter 60 Ministerinnen und über 1.500 Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen unserer Einladung gefolgt sind.

Noch nie zuvor haben sich so viele Länder für diese Sache zusammengefunden.

Und heute geht von hier die laut vernehmliche Botschaft aus, dass Medienfreiheit kein westlicher, sondern ein universeller Wert ist.

Im besten Fall schützen freie Medien die Gesellschaft vor dem Machtmissbrauch und helfen den Nationen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen.

1887 verfasste der Historiker und Politiker Lord Acton diese berühmt gewordenen Worte: „Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut.“

Der stärkste Schutz gegen die dunkle Seite der Macht liegt in Rechenschaftspflicht und Kontrolle – und nur wenige Institutionen erfüllen diese Aufgabe wirkungsvoller als freie Medien.

Echte Rechenschaftspflicht und verantwortliches Handeln erwächst nicht aus gelegentlichen punktuellen „harten Schlägen“ gegen die Korruption, wie autoritäre Staaten sie gerne inszenieren, bei denen misteriöserweise politische Gegner ausgeschaltet werden, während die größten Straftäter ungeschoren davonkommen.

Echte Verantwortlichkeit entsteht aus dem Risiko der Bloßstellung durch Medien, die nicht kontrollierbar oder bestechlich sind.

Die Beweise dafür liegen klar auf der Hand.

Von den zehn „saubersten“ Ländern weltweit gehören nach dem Ranking von Transparency International sieben zur Gruppe der besten zehn im weltweiten Index der Pressefreiheit.

Gleichzeitig finden sich vier der zehn korruptesten Ländern auch in der Gruppe der schlechtesten zehn in Sachen Pressefreiheit.

Mächtige Menschen legen Wert auf ihren Ruf. Deshalb ist das Tageslicht der Transparenz die stärkste Abschreckung gegen Fehlverhalten.

Ich bin Politiker, und wie viele andere in dieser Berufgruppe bin auch ich nicht immer begeistert davon, was die Medien über mich schreiben.

Ja, ein Politiker, der sich für Journalisten stark macht, mag sich gelegentlich sogar fühlen wie eine Pute, die sich für Weihnachten ausspricht!

Und natürlich, das muss ich jetzt einmal sagen – vielleicht ist dies ja meine einzige Gelegenheit dazu – machen auch Zeitungen manchmal Fehler. Journalist*innen sind nicht immun gegen die Verführung von Übertreibung oder Unverhältnismäßigkeit.

Aber diejenigen unter uns, die manchmal zur Zielscheibe von Kritik werden, sollten sich der Weisheit Nelson Mandelas entsinnen, der einmal gesagt hat: „Die Medien sind ein Spiegel, in dem wir uns so sehen können, wie andere uns wahrnehmen, mit Warzen, Schönheitsfehlern und allem … Solche Kritik kann uns nur helfen zu wachsen, indem sie das Augenmerk auf unsere Handlungen und Unterlassungen lenkt, die nicht den Erwartungen unserer Bevölkerung entsprechen.“

Wenn wir Politiker also klug sind, behandeln wir die Medien wie einen kritischen Freund.

Unsere Beamten sagen uns vermutlich lieber das, was wir hören wollen. Die Medien aber sagen uns das, was wir hören müssen. Sie beschreiben die ungeschminkte Realität, ob wir das wollen oder nicht.

Wie freie Medien der Gesellschaft helfen

Aber freie Medien tun mehr, als nur Versagen zu kritisieren und von Fehlverhalten abzuschrecken. Sie pflegen und nähren auch die Weiterentwicklung von Ideen.

Im Laufe ihrer gesamten Geschichte hat die Menschheit die raschesten Fortschritte gemacht, wenn wir zugelassen haben, dass Ideen frei diskutiert, auf den Prüfstand und in Frage gestellt werden.

Keine Entdeckung ist je gemacht und keine Erfindung vervollkommnet worden durch die Instrumente der Unterdrückung oder Zensur, die alles ersticken.

Der offene Austausch von Ideen durch freie Medien ermöglicht es dem Genius einer Gesellschaft zu atmen, so werden die Originalität und die Kreativität der gesamten Bevölkerung freigesetzt.

Der große Denker John Stuart Mill hat es so beschrieben: „Das besondere Übel, das mit der Unterdrückung einer Meinungsäußerung verbunden ist, besteht darin, dass die Menschheit bestohlen wird: Wenn die unterdrückte Meinung sich als richtig erweist, dann ist die Menschheit um die Möglichkeit betrogen worden, Fehler durch Wahrheit zu ersetzen. Wenn die unterdrückte Meinung sich als falsch erweist, dann verliert sie einen fast ebenso großen Nutzen, nämlich den, die Wahrheit durch die Konfrontation mit einem Fehler lebendiger und klarer zu erkennen.

Gesellschaften, die die freie Debatte pflegen, erbringen einen überproportionalen Beitrag zur Erweiterung des menschlichen Wissens.

Die zehn Nationen mit den freiesten Medien weltweit haben bisher insgesamt 120 Nobelpreisträger hervorgebracht – dreimal so viele wie Russland und China zusammen.

Norwegen hat mit nur 5 Millionen Einwohnern 13 Nobelpreise gewonnen.

Und mit allem Respekt vor meinen norwegischen Freunden – die Norweger sind auch nicht entdeckungsfreudiger oder erfindungsreicher als alle anderen.

Was sie so erfolgreich macht, sind ihre offene Gesellschaft und ihre freien Medien – die als die freiesten weltweit eingestuft werden – welche die beste aller möglichen Umgebungen für das Aufblühen von Talenten geschaffen haben.

Die Herausforderungen, denen Journalist*innen heute gegenüberstehen

In anderen Ländern ist das Leben härter – und dennoch sind Journalist*innen allen Widrigkeiten zum Trotz erfolgreich.

In Venezuela stellt sich Luz Mely Reyes, wie wir eben von ihr selbst gehört haben, dem Maduro-Regime entgegen, indem sie eine unabhängige Nachrichten-Website namens Efecto Cocuyo eingerichtet hat.

In Kasachstan betreibt Gulnara Bazhkenova die Website Holanews, die aufgedeckt hat, dass die Fischbestände im Fluss Ural durch den Eintrag von Gift vernichtet wurden.

In Peru hat Gustavo Gorriti von IDL Reporteros eine Serie von Korruptionsskandalen ans Licht gebracht, an denen Unternehmen, die Regierung und die Justiz beteiligt waren.

Aber in vielen Ländern verschlechtert sich die Lage leider zunehmend.

In China sorgen eine automatisierte Zensur und die Great Firewall dafür, dass der Zugang zu Tausenden von Nachrichten-Webseiten blockiert wird, dort sind Millionen von Menschen damit beschäftigt, Inhalte zu zensieren, gefälschte Posts in den sozialen Netzwerken zu publizieren und die online-Debatte zu manipulieren.

Der erste, der in China eine Webseite mit Fokus auf die Menschenrechte eingerichtet hat, war der Aktivist Huang Qi. 2016 wurde er verhaftet, uns seit einem geheimen Prozess gegen ihn im Januar dieses Jahres hat man nichts mehr von ihm gehört. Bekannt ist nur, dass er in schlechtem Gesundheitszustand ist.

Wir haben seinen Fall bei den chinesischen Behörden zur Sprache gebracht, und ich fordere sie dringend auf, Auskunft über das Schicksal von Huang Qi zu geben und ihm die medizinische Versorgung zukommen zu lassen, die er braucht.

In Vietnam veröffentlichte Tran Thi Nga Videobeweise für das brutale Vorgehen der Polizei – mit dem Ergebnis, dass sie 2017 zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.

Ich fordere die vietnamesischen Behörden deshalb heute auf, sie freizulassen.

Die Medienfreiheit verteidigen

In einer Welt, in der Washington Post-Kolumnist Dschamal Chaschuqdschi in einer diplomatischen Vertretung Saudi-Arabiens ermordert wurde, und in der die talentierte junge Journalistin Lyra McKee in Nordirland von rebublikanischen Dissidenten erschossen wurde, könnte man leicht in Fatalismus verfallen.

Dem aber müssen wir widerstehen.

Denn wenn wir gemeinsam handeln, können wir ein Schlaglicht auf solche Übergriffe richten und denen einen diplomatischen Preis abverlangen, die Journalist*innen Schaden zufügen oder sie hinter Gitter bringen, weil sie ihre Arbeit tun.

Ich möchte deshalb heute fünf praktische Schritte ankündigen, die die britische Regierung gemeinsam mit ihren Partnern unternehmen wird.

Erstens werden wir uns mit anderen Regierungen zusammentun und einen weltweiten Fonds zur Verteidigung der Medien einrichten, den Global Media Defence Fund, der von der UNESCO verwaltet werden soll. Damit wird der Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Sicherheit von Journalist*innen vorangebracht.

Zu den Zielen des Fonds gehört die Finanzierung von Rechtsberatung für Journalist*innen und von Sicherheitstraining für diejenigen, die in Konfliktgebiete reisen.

Großbritannien wird in den nächsten fünf Jahren drei Millionen Pfund für den Fonds bereitstellen – und wir laden andere Geber ein, sich daran ebenfalls zu beteiligen.

Zweitens werden wir eine internationale Task Force aufstellen, die den Regierungen dabei helfen soll, ihre Zusagen in Sachen Medienfreiheit umzusetzen, wozu auch das Entwickeln nationaler Aktionspläne gehören wird.

Alljährlich werden wir uns anlässlich der UN-Generalversammlung treffen und die Fortschritte auswerten, die die Task Force gemacht hat. Dies wird verbunden sein mit einem Lob für die Länder, in denen die Freiheit der Medien besser wird, und wo dies nicht der Fall ist, wird gemeinsam entschieden, was dagegen unternommen werden sollte.

Drittens hat meine Sondergesandte Amal Clooney ein Expertengremium einberufen, das die Länder dazu beraten soll, wie sie den rechtlichen Schutz für Journalist*innen stärken können. Ich kann alle Regierungen nur ermutigen, den Rat dieses Gremiums einzuholen und auf seine Empfehlungen zu reagieren.

Wir als britische Regierung werden sicherstellen, dass wir bei jedem geplanten neuen Gesetz und jeder Gesetzesänderung die möglichen Auswirkungen auf die Pressefreiheit prüfen werden.

Gerade heute hat meine Ministerkollegin Harriet Baldwin bekanntgegeben, dass das britische Entwicklungsministerium £15 Millionen für neue Programme zur Förderung der Pressefreiheit weltweit zur Verfügung stellen wird.

Viertens werden Chrystia Freeland und ich eine Kontaktgruppe gleichgesinnter Länder zusammenrufen, um mit einer einzigen Stimme aufzutreten, wenn die Medienfreiheit irgendwo in Bedrängnis gerät. Wir stellen uns vor, dass dies ein rascher Reaktionsmechanismus sein soll, der unseren Außenministern und Botschaftern hilft, als eine Einheit zu reagieren, wenn es zu Übergriffen kommt.

Und schließlich möchte ich alle Länder, die heute hier vertreten sind, dazu einladen, die Globale Verpflichtung zur Medienfreiheit zu unterzeichnen, mit der wir uns dazu bekennen, als Koalition zusammenzuarbeiten, um die Sache der Medienfreiheit voranzubringen, und uns im nächsten Jahr wieder zu treffen.

Schlussbemerkungen

Liebe Kollegen und Kolleginnen, der Kampf um die Medienfreiheit wird tagtäglich geführt, nicht in Konferenzzentren wie diesem, sondern von unabhängigen Journalistinnen in autoritären Staaten, von wachsamen Bloggern, die Fälle von Korruption anprangern, und von mutigen Aktivistinnen, die Beweise für Menschenrechtsverletzungen öffentlich machen.

In diesem Kampf hat Neutralität keinen Platz.

Wir stehen auf Seiten derer, die bestrebt sind, die Wahrheit zu berichten und die Fakten ans Licht zu bringen.

Wir stellen uns gegen diejenigen, die unterdrücken, zensieren oder Rache nehmen.

Nach der Ermordung von Francisco Romero Diaz brachte seine Zeitung diese Schlagzeile: „Schmerz, Angst und Ohnmacht“, und schrieb dazu: „Die Stimme eines Journalisten ist zum Schweigen gebracht worden.“

Am Ende stehen wir alle vor einer Entscheidung.

Die Drohungen zu ignorieren bedeutet zu dulden, dass unabhängige Stimmen erstickt werden, und die Gefahren unverantwortlicher Machtausübung zu tolerieren.

Wenn wir aber unsere Werte verteidigen, lässt der freie Austausch von Ideen unsere Nationen aufblühen.

Durch die Teilnahme an dieser Konferenz hat jede und jeder Einzelne von den Tausend Menschen hier diese Entscheidung getroffen.

Wir haben versprochen, alles zu tun, was nötig ist – und keinesfalls weniger –, um zu gewährleisten, dass die pluralistischen und vielfältigen Stimmen der freien Medien nicht etwa zum Schweigen gebracht, sondern gehegt und gefördert werden, denn sie sind der wichtigste Beitrag zu den offenen Gesellschaften, die das Fundament menschlichen Fortschritts sind.

Vielen Dank!

Weitere Informationen über die globale Konferenz zur Medienfreiheit.

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Veröffentlicht am 10 Juli 2019
Letzte Aktualisierung am 15 Juli 2019 + show all updates
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  2. First published.